Spannung für Grünberg
Gießener Allgemeine, 05.12.2022, Thomas Brückner
Wann der Strom erstmals aus einer Grünberger Steckdose kam, warum den Grimmichern schon 1913 in Gestalt der Straßenlampen ein Licht aufging. Dies und noch viel mehr beantwortet eine Ausstellung des Museums im Spital: »Spannung in Grünberg«. Kuratiert hat sie ein Mann vom Fach: Wolfgang Hofheinz, ehedem Geschäftsführer des Unternehmens Bender.
Wozu Atomkraftwerke? Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose!« – ein Spruch aus den 80ern, als noch die Kernenergie die energiepolitische Diskussion in diesem Land beherrschte. Befürworter der Technologie adressierten ihn an vermeintlich realitätsferne Kritiker.
Nicht nur die Frage, seit wann der Strom in Grünberg aus der Steckdose kommt, die Stadt den Einstieg ins Zeitalter der Elektrifizierung feiern durfte, wird in der Ausstellung »Spannung in Grünberg« beantwortet. Sie informiert vielmehr über die breitgefächerte Geschichte der Stromanwendung von 1868 bis 1970.
Die keineswegs nur für Grünberger kurzweilige Zeitreise beginnt mit der Einführung der Telegrafie. Nur ein Resultat der Recherchen von Wolfgang Hofheinz, die ein bislang unterbelichtetes Kapitel Stadtgeschichte erhellen. Danach war die erste Telegrafenstation im 1869 eröffneten Bahnhof untergebracht. »Von dort wurden Leitungen in die Stadt verlegt, noch bevor das neue Postgebäude 1900 in Betrieb gesetzt wurde.«
Schon 1906 zwanzig Telefonanschlüsse
Weiter führt die Zeitreise zur ersten Stadt-Fernsprecheinrichtung im Kaiserlichen Postamt 1902. Vom 17. Juli des Jahres an konnten sich die Grimmicher etwa über weitere Entfernungen hinweg am Telefon unterhalten. Offensichtlich bestand daran ein gesteigertes Interesse, sodass immer neue Kabel verlegt und Masten errichtet wurden.
Schon 1906 verzeichneten die Chronisten 20 Anschlüsse in der Stadt. Darunter der »Hessische Hof«. Telefonische Anmeldung war dort schon früh eine Option, hatte man doch den »Fernsprecher 2«. Eine weitere Etappe hin zur spannenden neuen Zeit ließ nicht lange auf sich warten: Von 1911 an betrieben erstmals Elektromotoren die mechanischen Webstühle der Firma Heinrich Schmidt I.
Einen noch wichtigeren Meilenstein sollte der 12. Dezember 1912 bringen, ging an diesem Tag doch das Braunkohlekraftwerk Wölfersheim in Betrieb. Im ersten Schritt versorgte es die Hälfte der Provinz Oberhessen, insgesamt gut 80 000 Menschen. Wiewohl zunächst nicht vorgesehen, wurde der Leitungsbau doch sogleich bis Grünberg geführt. Also durften sich dessen Bewohner schon 1913 an einer Straßenbeleuchtung mit elektrischen Glühbirnen erfreuen.
Vor allem: Mit dem Netzanschluss war der Weg zur vielfältigen Anwendung elektrischen Stroms geebnet.
In seiner Einführung in die Ausstellung würdigte Hofheinz ausdrücklich den damaligen Grünberger Bürgermeister Heinrich Zimmer II. Lob galt dessen »Verständnis für eine gänzlich neue Technik«, seinem Mut, diese auch gegen manche Gegner durchzusetzen. Nur ein Beleg: Als 1909 die politisch Verantwortlichen in Nidda über den Einstieg in die Stromversorgung Oberhessens berieten, war Zimmer vor Ort und machte sich für den Anschluss Grünbergs stark. – Zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag hatten Museumsleiterin Karin Bautz sowie Stadtrat Volker Schlosser zahlreiche Gäste begrüßt. Wie Letzterer mit Hinweis auf die Dekarbonisierung unterstrich, werde die Menschheit auch in Zukunft von der Elektrifizierung profitieren.
Zivilisatorischer Fortschritt
Dr. Joachim Breckow, Professor für Physik und Strahlenschutz an der THM, porträtierte den Kurator und Autor der Ausstellung: Wolfgang Hofheinz. Eigentlich unnötig, kenne den Elektroingenieur doch fast jeder Grünberger, schon wegen seiner 19 Jahre als Geschäftsführer der Firma Bender Netzschutztechnik. Der heute 75-Jährige ist, etwa als Vorsitzender der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik von 2011 bis 2014, auch weit über Grünbergs Grenzen hinaus bekannt. Ein Mann vom Fach eben.
Auch Breckow stellte die Rolle der Elektrifizierung für die zivilisatorische Entwicklung heraus. Davon wie auch von der Spitzenstellung Deutschlands vor gut 100 Jahren profitiere man noch heute. Den Bogen in die Gegenwart spannte er mit Verweis auf den »Stromkrieg« zwischen Edison und Westinghouse um 1890. Wer am Ende Gewinner sei, sei noch nicht entschieden, meinte Breckow mit Blick auf die Vorteile des Gleichstroms gegenüber dem Wechselstrom, geht es um eine großflächige Versorgung.