Buchvorstellung: »Grünberg in der Zeit des Nationalsozialismus«
Lücke in Teilen geschlossen
Buchvorstellung: »Grünberg in der Zeit des Nationalsozialismus«
Bislang klaffte eine Lücke in der vielseitigen Geschichtsschreibung zu Grünberg, eine über die Zeit des Nationalsozialismus in der damals kleinen Stadt mit rund 2400 Einwohnern. Seit Kurzem ist diese in Teilen geschlossen. Renate Krauß-Pötz hat eine Chronik vorgelegt, die Informationen liefert zum Aufstieg der NSDAP, zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, zur Ankunft der Amerikaner im März 1945 in Grünberg. Der Freundeskreis Museum Grünberg hat die Herausgabe übernommen, die Stiftungen E&E Rittmannsperger, Sparkasse Grünberg, Fa. Bender spendeten dafür.
Akten ausgewertet
Die Chronik basiert auf der Auswertung des Griinberger Anzeigers, damals eine Zeitung, die an mehreren Tagen pro Woche erschien, ab 1933 unter der Kontrolle der NSDAP stand, sowie auf der Auswertung von Akten verschiedener Archive sowie einiger Fachliteratur.
Die Chronik dokumentiert, zitiert, enthält sich weitgehend eigener Kommentare und malt ein Bild, was in der Stadt geschah, wie es sich dort lebte, wer Akteure, Verantwortliche waren, wie sie kommunizierten und vieles mehr.
Die Chronik lässt nachvollziehen, wie die NS-Ideologie in die Bevölkerung eindrang, sie versuchte zu beherrschen. Beispielsweise über die »Gleichschaltung« aller Vereine, sie mussten der NSDAP genehme Vorstände benennen oder wurden aufgelöst. Auch geht es um die Festnahme von Gegnern, ihre Einlieferung in das KZ Osthofen. Die Gründung von NS-Organisationen für alle Bereiche des Lebens, auch Kultur und Soziales, auch für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Pflichtmitgliedschaft in NS-Organisationen, zum Beispiel für die Jugend. Druck auf Menschen und Firmen, NS-Organisationen beizutreten, zum Beispiel durch die Verweige rung von öffentlichen Aufträgen. Das Anbringen einer “roten Hausliste” an allen Wohnhäusern mit Informationen zur Mitgliedschaft der Bewohner. Die Militarisierung des Alltags durch Luftschutzübungen ab 1933, durch Schulgefechtsschießen, Manöver ab 1935.
Ab 1939, mit Kriegsbeginn, tauchten Fremd- und Zwangsarbeiter auf, arbeiteten in Firmen, im Forst, bei Landwirten, in Haushalten, mit weniger Rechten, geringerer Bezahlung. Zeitweise waren es 320 Menschen.
Der Jugendschutz wurde verschärft durch Ausgangsverbote, Alkoholverbote. Zahlreich waren Veranstaltungen, Märsche, Kundgebungen, Sportwettbewerbe. In den Schulräumen hingen Hitlerbilder, Schulbücher wurden aussortiert, völkische Bücher tauchten auf, Lehrerinnen und Lehrer benötigten den “Ariernachweis”.
Ab 1933 wurde jüdischen Händlern der Zugang zum Gallusmarkt verweigert. Das Finanzamt Grünberg, mit einem Bezirk von zuletzt 62 Orten, war an der Ausplünderung der Juden beteiligt, auch an der Verwertung von Hab und Gut, das sie zurücklassen mussten, als sie zur Fahrt in KZs “abgeholt” wurden.
Kleine Ausstellung
Karin Bautz, Leiterin des Museums, Carmen Lange, Vorsitzende des Freundeskreises, Ekart Rittmannsperger, Sponsor und ehemaliges Mitglied des Freundeskreises, sowie der Gast Bürgermeister Marcel Schlosser bedankten sich für die Arbeit von Krauß-Pötz.
Bautz verwies auf deren kleine Ausstellung von Zeitungsausschnitten, Aushängen, die im Museum bis zum 10. November gezeigt wird.
Lange hob hervor, dass das Dokumentarische und Lokale der Chronik zu Unterrichtszwecken gut geeignet sei, dass sie die hohe Geschwindigkeit der Einflussnahme der NSDAP auf das Denken und Tun der Bevölkerung erstaunt habe, aber auch die hohe Zustimmung von Grünbergerinnen und Grünbergern zur NSDAP bei Wahlen vor 1933.
Das Buch ist im Museum Grünberg und in der Buchhandlung Grilnberg zum Preis von 19,50 Euro erhältlich
Karin Bautz, Marcel Schlosser, Renate Krauß-Pötz, Carmen Lange, und Ekart Rittmannsperger (v.l.) bei der Buchvorstellung. Foto: Renate Meinhardt
Quelle: Gießener Anzeiger Nr. 250 I Samstag, 26. Oktober 2024